EEHH-Innovationsmanager Dr. Thomas Greve erläutert die Zusammenhänge zwischen Methoden des Improtheaters und der modernen Arbeitswelt.
(Blogbeitrag auf erneuerbare-energien-hamburg.de)
Improtheater: Ständiges Reagieren auf Veränderungen und andere Kompetenzen
„Aber ihr hattet doch ein Drehbuch, oder?“ fragte mich ein Zuschauer, als ich am Oldenburger Unitheater mit meiner Improtheater-Gruppe das erste Mal eine „Langform“ gespielt hatte, eine einzige Geschichte über den ganzen Abend. Das war größte Lob, das ich mir vorstellen konnte! Tatsächlich gab es kein Drehbuch, sondern wir entwickelten die Geschichte spontan an dem Abend – aus und mit den Vorgaben des Publikums.
Improtheater funktioniert so: das Publikum wirft Vorgaben in den Raum, zählt ein: 5-4-3-2-1-los! Jede Improtheater-Szene ist ein Unikat. Sie können Reime und Lieder enthalten, Genres wie Opern oder Western bedienen oder vom Publikum dirigiert werden: In einer Variante darf eine Person jederzeit in einer Szene „Neue Wahl!“ rufen und dann wird der letzte Satz durch einen Neuen ersetzt.
„Aber dafür ich doch gar nicht üben, oder?“ fragte jemand. Und ob! Jedoch anders als bei klassischem Theater. Improtheater-Spielende können nicht ihre Szene und ihren Text auswendig lernen oder vorab tief in den Charakter eintauchen. Sie müssen Geschichten erzählen und weiterentwickeln können, Impulse von anderen Spielenden und von außen aufnehmen (und sich von ihren eigenen Ideen lösen!), den Fokus auf der Bühne setzen können, auf Veränderungen reagieren und bereit sein, den gespielten Charakter in den Szenen zu verändern. Das Drehbuch schreiben alle auf der Bühne gemeinsam, zusammen führen sie Regie. Benötigt wird also eine große Breite an Kompetenzen. Im Training können Spielende sie erwerben und festigen.
Der Zusammenhang zwischen der Digitalisierung Improtheater
Seit ich 2017 begonnen habe, mich intensiv mit technischen und nichttechnischen Themen der Digitalisierung auseinanderzusetzen, habe ich immer mehr verstanden, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt auf den Kopf stellt. Die neue Arbeitswelt ist auf Basis der Anforderungen entstanden, die die Digitalisierung mit sich bringt: starke Vernetzung, immer schnellere Veränderungen, immer höhere Komplexität. Dafür braucht es Antworten. Eine dieser Antworten lautet: „Aufbau von Zukunftskompetenzen statt „Vorratslernen“. Schnell ist mir aufgefallen, dass ich beim Improtheater zahlreiche solcher Kompetenzen aufgebaut hatte, z.B. schnell auf Veränderungen zu reagieren. Mit etwas Verzögerung kam mir die Erkenntnis: Klassisches Theater ist wie klassisches Arbeiten, Improtheater wie die neue Arbeitswelt:
- Klassische Arbeitswelt vs. klassisches Theater
- Neue Arbeitswelt vs. Improtheater
- Starre Hierarchien, Top-down-Entscheidungen vs. Flache Hierarchien, partizipative Entscheidungsfindung
- Abarbeitung von Plänen, langfristige Pläne, „Vorratslernen“ vs. Agile Planung, iteratives Arbeiten, schnelle Anpassung an Veränderungen
- Fachabteilungen, starke Arbeitsteilung, spezialisierte Rollen vs. interdisziplinäre/crossfunktionale Teams, vielseitige Rollen
- Kontroll- / Perfektionskultur vs. Fehlerkultur
- Produktorientierung vs. Kundenorientierung
Die beiden Herangehensweisen sind also grundverschieden. Neben dem Thema der Kompetenzen ändert sich auch alles weitere, von der Struktur der Teams bis zur Arbeitskultur. Die Themen Arbeitskultur und Entwicklung von Kompetenzen sind keine, die in einer Weiterbildung vermittelt werden können. Kompetenzen entwickelt eine Person im Tun. Die Arbeitskultur können Vorgesetzte und Mitarbeitende durch Rahmenbedingungen beeinflussen, aber nicht vorgeben. Genau hier kann Improvisationstheater einen Mehrwert leisten. Die neue Arbeitswelt kann in einem gesicherten Umfeld „erprobt“ werden, zum Beispiel: kundenorientierte Realisierung eines Produktes mit Berücksichtigung einer sinnvollen Fehlerkultur und Flexibilität der Mitarbeitenden.
Zukunftskompetenzen
Welche Kompetenzen benötigen Mitarbeitende heutzutage? Wie kann das Improvisationstheater helfen? Der Kode-Kompetenzatlas enthält 64 Zukunftskompetenzen. (https://www.kodekonzept.com/wissensressourcen/kode-kompetenzatlas/)
Es handelt sich um insgesamt 64 Kompetenzen aus vier Bereichen (je 16 Kompetenzen):
- Personale Kompetenz, wie z.B. Zuverlässigkeit, Selbstmanagement, ganzheitliches Denken
- Aktivitäts- und Handlungskompetenz, wie z.B. Entscheidungsfähigkeit, Innovationsfähigkeit, Initiative
- Sozial-kommunikative Kompetenz, wie z.B. Teamfähigkeit, Experimentierfreudigkeit, Anpassungsfähigkeit
- Fach- und Methodenkompetenz, wie z.B. analytische Fähigkeiten, Wissensorientierung, Sachlichkeit
Kennenlernen der „Steifen Brise“
Im Rahmen eines Projektes lernte ich die „Steife Brise“ kennen, eine der ältesten Hamburger Improtheater-Gruppen. In einem Workshop habe ich neun Mitglieder der „Steifen Brise“ gefragt, welche der 64 Kompetenzen ihrer Meinung nach mit Improtheater entwickelt oder gestärkt werden können. Die Auswertung überraschte mich positiv. Bis auf bei der Fach- und Methodenkompetenz nannten in allen übergeordneten Kompetenzen mindestens sechs der neun Personen elf der 16 Kompetenzen (oder mehr) und insgesamt 36 der 48 Kompetenzen. 18 dieser Kompetenzen wurden sogar von allen neun Personen genannt.
Die Ergebnisse finden Sie in den Grafiken unten. Natürlich stellen neun Beteiligte keine fundierte Datengrundlage dar, dennoch bietet diese kleine Befragung einen interessanten Einblick. Für jede Kompetenz fragte ich: Kann Improtheater helfen, diese Kompetenz (weiter) zu entwickeln? In der Auswertung gab ich die Zahl an, wie viele der neun Personen jeweils mit „ja“ geantwortet haben.
Kleine Randnotiz: Improtheater-Gruppen wie die Steife Brise, hidden shakespeare, Die Spieler oder die Zuckerschweine haben viele Angebote für Unternehmen entwickelt. Für das Thema Organisationsentwicklung beispielsweise existieren Angebote zur Reflexion von Prozessen, zur Teamentwicklung oder für Arbeitskultur- oder Kompetenzthemen. Im Rahmen von Events können Impro-Spielende für Unterhaltung sorgen, moderieren oder den Tag szenisch zusammenfassen. Dabei greifen sie Themen unternehmens- oder teamspezifisch auf. Coachings und Trainings können verschiedene Bereiche abdecken, zum Beispiel Ausdruck und Wirkung von Sprache und Körpersprache, Rhetorik, Storytelling oder konstruktiver Umgang mit Konflikten.
Und das Schöne ist: Egal ob, Unterhaltung, Organisationsentwicklung oder Seminar, Improtheater bringt einzigartige Momente und (fast) jeden zum Lachen!
Dieser Artikel ist in Kooperation mit der Steifen Brise entstanden.
Der Autor: Dr. Thomas Greve
Der promovierte Physiker Dr. Thomas Greve verantwortet seit September 2023 das Innovationsmanagement und Forschungsförderung im Bereich Wasserstoffwirtschaft. Im EEHH-Team sorgt er für frischen Wind mit agilen Methoden und neuen Ansätzen der Kollaboration.