Was war Ihr Traumberuf als Kind?
Sportler*in, Astronaut*in, Ärztin, Tee-Spezialist, Truckerfahrer*in, Vertriebskanone, Model? Oder doch lieber Groot mittendrin im Kosmos und Plasma Boy, der in jede Fuge kriechen kann? Oder sind Sie eher vernünftig und realistisch vorgegangen? Und war es vielleicht sogar realistisch, Astronaut*in zu werden? Für manche ist das ganz normal: Als wir im Februar zu einem Change-Management-Seminar an der Universität Samara eingeladen waren, schien es nicht weiter erstaunlich, in der Raumfahrtmetropole an der Wolga einen Kosmonauten zu treffen. Im Bild allerdings nur sein Raumkapsel-Reiseoutfit.
So reist man in den Kosmos.
Ich dagegen habe mit 8 Jahren in mein liebevoll von meiner Grundschullehrerin Elke Eger angeleitetes “Ich-Heft“ geschrieben: Im Jahr 2000 möchte ich Sängerin sein und in der Drehscheibe singen. Später schien mir das absurd – nicht nur, weil das Boulevardmagazin im ZDF meine Liedauswahl bestimmt abgeschmettert hätte. Und heute? Am Ende des Jahres 2020 bin ich geschäftsführende Partnerin des Theaters Steife Brise und erlebe mich und meine Kolleg*innen im Start-up-Modus. Und Musik ist in der Luft! Neben dräuendem Stampfen und Wummern funkeln helle, neue Töne.
Alles anders, alles neu. Mit uns sehe ich Kund*innen, die plötzlich sich selbst und die Sinnhaftigkeit ihres Unternehmens in Frage oder gar ins Abseits gestellt sehen. Trotz großer Anstrengung, Wut und Ungewissheit wandeln sie fast schlafwandlerisch auf den Spuren der Prinzen aus Serendip: Sie nutzen die unerwarteten Herausforderungen, um ihr Geschäft zu revolutionieren oder gar etwas ganz Neues zu beginnen. Auf Emotionen wird gesurft, wo vorher die Ratio morgens mit der Krawatte an die Business-Rüstung geknotet wurde. Oder sie werfen hin. Oder sie erfinden sich neu. Oder sie überwinden ihr Ego und starten gemeinnützige Unterfangen. Motiviert von Treue, Mitgefühl, Entscheidungskraft. Werden zu Gefährten mit ganz Andersartigen und machen sich auf ins Ungewisse. Die Zukunft als Ziel.
Resignation. Regnose. Regeneration.
Zurück zur Berufswahl
In Monty Pythons‘ Wunderbare Welt der Schwerkraft will der „ausgesprochen langweilige“ Buchhalter Herbert Anchovy aus seiner Routine ausbrechen und Löwenbändiger werden, verwechselt jedoch Löwen mit Ameisenbären. Ich war unter kollektivem Gelächter immer heimlich traurig bei diesem exzellenten Sketch. Warum? Jetzt, da ein Politiker Schaffenden eines ganzen Wirtschaftszweiges sagt, welche Berufe sie doch besser wählen sollten, weiß ich es endlich: Wenn Entscheidungsfreiheit, Talent, Neigung, Neugierde, Innovationskraft und Gestaltungswillen plötzlich zum Verhängnis werden, weiß ich, wie groß die Enttäuschung für Herbert Anchovy angesichts der Konfrontation durch den Berufsberater ist, der ihn in die gewohnten Bahnen zurückweist.
Glück wiederum habe ich jetzt, unseren fachlich fehlerfreien Buchalter dabei zu erleben, wie er bei der erfinderischen Entwicklung von hybriden Events, Online-Shows und Streaming-Technik aufblüht und experimentierfreudig und mit Pioniergeist sich und die Welt neu gestaltet.
Publikumswunsch aus unserem Stück „Vernetzt“, 2019, von Katharina Butting und Verena Lohner
Zurück in die Zukunft – Ein Navajo-Crahkurs in Ambiguitätstoleranz
Im März 2020 machten meine Mutter und ich auf unserem lange präzise geplanten USA-Roadtrip – die Pandemie von Chicago nach San Francisco immer zähnefletschend im Rückspiegel unseres RVs – auch Halt im Monument Valley. Einen Tag vor Beginn der Saison, die nie begann. Dort ließ ich mich in einer oszillierenden Verfassung zwischen Faszination, Hingabe, Erschöpfung und Fatalismus darauf ein, am folgenden Tag mit Daniel eine Trucktour durchs Valley zu machen. Daniel war der am wenigsten hartnäckige Navajo mit der Lizenz, Gästen den Zauber des Landes seiner Ahnen mit einem abgehalfterten blauen Toyota zu erschließen.
Am nächsten Morgen stand Daniels Wagen auf dem gespenstisch leeren Parkplatz zur geplanten Zeit bereit. Meine Mutter war skeptisch. Grundsätzlich. Da ist was faul dran. Wir hatten sparsam 1 Stunde gebucht – das Basis-Paket.
Die Fahrt begann. Wir kamen ins Gespräch.
„Wie heißen die „Betende Schwestern“-Felsen denn bei den Navajo?“
„Felsen, die gut aufeinander ruhen.“
„Wie siehst du die Corona-Pandemie? Was macht ihr hier, wenn keine Touristen kommen?“
„Wir haben schon ganz andere Katastrophen überstanden.“
„Was machst du, wenn du nicht Tourist-Guide bist?“
„Ich kümmere mich um die Pferde. Oder halte unser Haus in Stand. Ich schaue, was die Gemeinschaft oder Natur gerade braucht, und packe da an. Manchmal spiele ich in Filmen. Hier habe ich in Zurück in die Zukunft III Marty McFly auf dem Pferd gejagt, das war sehr lustig… Habt ihr noch Zeit? Dann machen wir die Tour etwas länger… Was wollt ihr wissen, was wollt ihr sehen?“
Eine spannende Begegnung mit einem Menschen, der sich nicht in seinem Beruf gefangen sieht und nicht den Kopf in den Sand steckt, wenn das Gewohnte in Stücke zerspringt. Der sich mit dem, was gerade möglich ist, arrangiert und das Gegebene zu gestalten weiß.
Die anfänglich argwöhnischen Blicke meiner Mutter wichen einem entspannten Strahlen.
Wir waren fast drei Stunden gemeinsam unterwegs. In Lehm-Hogans (halbkugelförmige Platzwunder-Wohnhäuser), im unsterblichen Mysterium der Vorfahren, dem intuitiven Naturwissen, dem Storytelling als Entwicklungspraxis und dem Überleben mit Werten, Sinn, Selbsttreue und Kompromissen. Drei Stunden Intensiv-Kurs Change, Innovation, Tradition, Mut, Wandlungsfähigkeit, Selbstverantwortung, Stabilität, Spielfreude und Menschlichkeit.
„Daniel, das war jetzt viel länger als geplant, was schulden wir dir noch?“
„Nichts. Ihr hattet eine gute Zeit – das ist das Beste, was mir heute passieren konnte.“
Nach unserer Tour schloss das Valley wegen der Covid-19-Maßnahmen für die Öffentlichkeit.
Ca. 1500 Jahre alte Petroglyphen und der Arm eines Schauspielers
Was ist Ihr Traumberuf jetzt?
„Alles Wichtige und Praktische über Kommunikation habe ich von einem Schauspieler gelernt. Machen Sie das bitte auch mit meinen Leuten.“ Das sagte mir mal ein britischer Teamleiter im Briefing. Es ging um hochkarätige internationale Spezialist*innen in einem Logistik-Unternehmen, die als interdisziplinäres Team zukunftsfähig gemacht werden sollten.
Solche Aufgeschlossenheit und Neugierde für Artfremdes, die Freude am Entdecken, am Wagnis, neu zu lernen, beobachte ich auch im Moment wieder. Bei Leuten, die, auch wenn der Horizont noch voll garstiger undefinierbarer Herausforderungen ist, sich entscheiden, glücklich zu sein. Manche sind dabei in aller Welt und dem Kosmos unterwegs, andere gestalten ihr nächstes Umfeld nach ihren Möglichkeiten für jetzt und morgen. Egal, ob an ihnen ein Löwendompteur, Schauspieler oder eine Indianerprinzessin verloren gegangen ist.
Ihre Verena Lohner